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Deutschland überholt die Schweiz: teilweise Entkriminalisierung

Tja, wer hätte das gedacht: Deutschland ist schneller als die Schweiz. Doch von den grossen Plänen mit Verkaufsstellen und also einer richtigen ­Legalisierung ist zunächst nur ein kleiner Schritt übrig geblieben: Die ­Ent­kriminalisierung des Konsums und des (begrenzten) Eigenanbaus.

Seit April 2024 kann man in Deutschland ohne Sorge mit 25 Gramm Cannabis herumlaufen und darf es mit gewissen Einschränkungen auch konsumieren. Damit hat Deutschland die Schweiz in Sachen Cannabis weit überholt. Grund genug, die Sache etwas näher zu betrachten. Wir wollen jedoch nicht alle Facetten der Gesetzgebung diskutieren, sondern uns der Frage widmen, was das nun für die Menschen ­bedeutet, die einen Wohnsitz in der Schweiz haben.

Grundlage für diesen Text ist der Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages ­«Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften» vom 27. März 2024, zu finden unter Cannabisgesetz – CanG

Strikt reguliert, teil-entkriminalisiert, aber noch lange nicht legalisiert

Das Gesetz ist komplex und in vielen Bereichen sehr restriktiv. Darum kann man von einer Art Entkriminalisierung oder Teil-­Legalisierung sprechen und nicht von einer richtigen Legalisierung. Laut Bundesregierung zielt das Gesetz darauf ab, Aufklärung und Prävention zu stärken, den illegalen Markt für Cannabis einzudämmen sowie den Kinder- und Jugendschutz zu verbessern. Die Vorsicht ist nicht grundlos.

Deutschland hat bekanntlich eine lange Tradition im Umgang mit Alkohol. Die liberale Haltung und gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber dieser Volksdroge ist ein Problem. Auch wenn sich Cannabis in vielerlei Hinsicht nicht mit Alkohol vergleichen lässt, wollen Fachleute und Politik diesmal wohl eher zu restriktiv als zu ­liberal vorgehen.

Es gibt einige sehr befremdliche Eigenheiten dieses Gesetzes. So ist beispielsweise der Besitz und Konsum von Beginn an erlaubt, aber für die meisten Menschen wird es lange nur den Schwarzmarkt geben, um sich zu versorgen. Erst wenn die ersten ­Ernten eingefahren und die Anbauvereinigungen gegründet und legitimiert sind, können die vielen Personen, die sich jetzt im Schwarzmarkt bedienen, überhaupt legal an Cannabis kommen. Private, die ­bereits growen und nun zeitnah ihren Weg aus der Illegalität finden, sind wohl eine Ausnahme. Und selbst die sind wohl über die drei Pflänzchen, vielleicht sechs mit Partner zusammen, nicht glücklich.

Ob das Konzept aufgeht, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Ganz in die restriktive Linie passt, dass Cannabis-Tourismus möglichst unterbunden werden soll. Um dies zu bewerkstelligen, ist das Gesetz so gestaltet, dass die willentliche Weitergabe an Personen, die keinen festen Wohnsitz in Deutschland haben, unter Strafe steht.

Cannabis aus dem privaten Eigenanbau darf generell nicht an Dritte weitergegeben werden. Es dürfen nur Personen Mitglieder einer Anbauvereinigung werden, die einen Wohnsitz in Deutschland haben. Ausserdem dürfen Mitglieder kein Cannabis an Nicht-Mitglieder weitergeben.

Damit ist klar, dass Tourismus kaum möglich ist. Es zeigt aber auch erste Schwächen des Gesetzes. Weitergabe von geringfügigen Mengen im privaten Rahmen ist zwar verboten, kann aber weder kontrolliert noch effektiv unterbunden werden. Wie die Polizei und Justiz mit dieser Heraus­forderung umgehen, wird sich zeigen.

Besucht man Freunde oder Verwandte in Deutschland und bekommt Cannabis von ihnen, machen sich diese jedenfalls ­strafbar.

Ein- und Ausfuhr ist verboten

Wer also einen Ausflug nach Deutschland macht, könnte ja nun auf die Idee kommen, das Gras einfach mitzunehmen. Doch das geht leider auch nicht, denn obschon der Besitz und Konsum legal wäre, ist die Einfuhr nicht gestattet, also der Transport über die Grenze nach Deutschland. Inwiefern diese ­Regelung auch für geringfügige Mengen in der Realität zur Anwendung kommt, wird sich zeigen.

Auf der Internetseite der deutschen ­Generalzolldirektion wurde jedenfalls eine Fachmeldung veröffentlicht, welche unmissverständlich klar macht, dass der Import nach wie vor strikt verfolgt würde: Der Zoll warnt daher Konsumentinnen und Konsumenten zur Vermeidung von strafrechtlichen Konsequenzen ausdrücklich davor, im Ausland erworbenes Cannabis nach Deutschland einzuführen. Internetseite des Deutschen Zolls, am 1. April 2024: «Demgegenüber bleibt die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Cannabis verboten und ist strafbewehrt. Somit ist insbesondere auch die Einfuhr von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum aus dem Ausland weiterhin verboten und strafbar.» Aber auch die Ausfuhr in die Schweiz ist seitens Deutschlands nicht gestattet.

Auf Schweizer Seite wird Cannabis ebenso eingezogen und verzeigt (ausser es handelt sich um weniger als 10 Gramm für den ­Eigenbedarf). Mit dem Bundesgerichtsentscheid, der den Besitz einer solchen geringfügigen Menge nicht nur als straflos, ­sondern diese auch als nicht einziehbar ­definierte, hatten sich die Regeln im Jahr 2023 ja ­geändert. Der Zoll hat gegenüber nau.ch im April 2024 bestätigt, dass er das auch so sieht.

Deutschland wird nicht das neue ­Amsterdam

Es werden sich wohl kaum touristische Hotspots in Deutschland bilden, die sich durch einen besonders liberalen Umgang hervortun. Darum sollte man jetzt noch nicht des Grases wegen extra eine Reise in den ­Norden planen.

Gäste, welche die Möglichkeit haben, ­innerhalb Deutschlands an Cannabis zu kommen (wenn auch illegal), müssen sich jedoch wohl erst rechtfertigen, wenn es einen Grund dafür gibt. Wer anständig bleibt, die übrigen Gesetze und Abstandsregelungen einhält, wird kaum mehr ­Probleme haben als alle anderen.

Zum Schluss soll noch erwähnt werden, dass wie auch in der Schweiz nicht alles, was als Gesetz verabschiedet wird, von heute auf morgen auch so zur Anwendung kommt. Das Schweizer Betäubungsmittelgesetz ist dafür ein Musterbeispiel: Es ­dauerte zehn Jahre und benötigte drei Bundesgerichtsentscheide, bis die meisten Staatsanwaltschaften der Schweiz den ­Besitz einer geringfügigen Menge nicht mehr bestraften, so wie es Jahre zuvor im Gesetz bereits gestanden hatte. Man muss sich also nicht wundern, wenn in gewissen ­Regionen Deutschlands noch lange ein ­repressives Klima herrscht.

Zuletzt geändert: 2024/09/02 19:25

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