Heroinabgabe vor Hanflegalisierung

An einem Vortrag im Februar erläuterte der Präventivmediziner und Nationalrat Felix Gutzwiller seine Einschätzung zum Stand der Betäubungsmittelgesetz-Revision in der Schweiz. Ein interessanter Vortrag mit einer übersichtlichen Auslegeordnung der politischen Probleme in der Betäubungsmittelgesetz-Revision.

Vortrag am Institut für Suchtforschung

Das Institut für Suchtforschung in Zürich organisiert im Rahmen des ISF-Forums jeden Monat eine Veranstaltung über Präventions- und Behandlungsangebote im Suchtbereich. Es möchte Praxis und Forschung zusammenbringen und über Trends im Suchtbereich informieren. Das ISF hatte Felix Gutzwiller, einen bekannten bürgerlichen Nationalrat und Professor für Präventivmedizin, Anfang 2000 angefragt, am 6. Februar 2001 über die Betäubungsmittelgesetz-Revision zu berichten. Damals ging man noch davon aus, dass die Botschaft des Bundesrates sicher bis Anfang Februar vorliegen würde, so dass an diesem Vortrag darüber informiert und diskutiert werden könnte. Doch wie so vieles in der Geschichte der Betäubungsmittelgesetz-Revision wurde auch dieser Termin nicht eingehalten. Trotzdem fand der Vortrag statt – allerdings hätte der Referent lieber konkret über diesen nächsten Schritt diskutiert, als eher vage über diesen spekulieren zu müssen. (Die Botschaft selber besprechen wir ebenfalls in dieser Nummer ab Seite 35).

Alle wollens wissen

Vor dem Vortrag wurde der Experte in Sachen Betäubungsmittelgesetz-Revision denn auch von verschiedenen Interessierten gefragt, wie es denn nun aussieht, wo diese Botschaft des Bundesrates steht und – vor allem – was denn nun drinstehen würde und was nicht. Diese Spannung konnte auch Gutzwiller nicht auflösen. Er hielt statt dessen einen interessanten Vortrag mit zwei Schwerpunkten. Einerseits war sein Thema die technische Seite der Gesetzesrevision: Was muss in welcher Reihenfolge passieren, damit ein geändertes Gesetz in Kraft treten kann? Zum zweiten legte er die möglichen Inhalte der Revision dar und zeigte die Probleme auf, die mit diesen Inhalten verbunden sind und die den Rahmen vorgeben für die politische Diskussion auch im Parlament.

Zum Ablauf der Revision

Alle warteten also gespannt auf die Botschaft des Bundesrates, die ja unterdessen veröffentlicht wurde. Nach dieser Botschaft muss der Erstrat festgelegt werden. Die Schweiz hat ein Zweikammerparlament (National- und Ständerat) und jedes Geschäft wird zuerst im einen Rat behandelt und dann an den Zweitrat überwiesen. Vor der eigentlichen Diskussion im Erstrat berät dessen Kommission über die bundesrätliche Botschaft (im Verlaufe des Junis hat die Kommission des Ständerates wahrscheinlich diese Beratungen aufgenommen). Wenn die Diskussionen im Erstrat abgeschlossen sind (das sollte im Verlaufe 2001 geschehen), wird das Geschäft in die Kommission des Zweitrates gebracht und anschliessend vom Zweitrat selber behandelt (das könnte 2002 über die Bühne gehen). In diesem Bereich kann es zwei Verzögerungen geben. Einerseits können die Kommissionen noch beschliessen, weitere Hearings durchzuführen oder zusätzliche Berichte durch Experten erstellen zu lassen. Andererseits können in den Beratungen Differenzen zwischen den beiden Räten entstehen, die dann noch bereinigt werden müssen. Wenn sich die Räte geeinigt und den Bundesbeschluss verabschiedet haben, kann dagegen das Referendum ergriffen werden. Dass dies geschieht gilt als so gut wie sicher: Es gibt genug Ewiggestrige, die auch minimalste Verbesserungen grundsätzlich bekämpfen werden. Diese Kräfte sind auch stark genug, die nötigen 50’000 Unterschriften innert 90 Tagen zu sammeln, damit das Referendum zu Stande kommt. Schliesslich muss das geänderte Betäubungsmittel-Gesetz in einer Volksabstimmung angenommen werden (das dürfte 2003 werden), um dann anschliessend in Kraft gesetzt zu werden (rund 2004). Sollte es jedoch in der Abstimmung durchfallen, würde das die ganzen Diskussionen um Jahre zurückwerfen: Ausser einem Scherbenhaufen wäre dann nichts erreicht worden. Soweit zum technischen Ablauf. Jetzt zu möglichen Inhalten der Revision.

Tabak und Alkohol können nicht als Suchtmittel definiert werden

Am Anfang der Diskussionen über eine Revision war die Idee, nicht einfach eine Betäubungsmittelgesetz-Revision durchzuführen, sondern ein allgemeines Suchtmittel-Gesetz zu schaffen. Darin wären dann auch Alkoholika und Tabakprodukte eingebunden gewesen. Nicht in dem Sinne, dass diese auch verboten worden wären. Sie wären weiterhin legal geblieben, aber sie wären auch als Suchtmittel aufgeführt worden. Dagegen machten jedoch die Wirte und weitere gut organisierte Kreise massiv mobil, so dass dieser Teil sang- und klanglos unter den Tisch fiel. Obwohl gerade die Präventivmedizin weiss, dass die legalen Drogen für die Gesundheit der Bevölkerung das viel grössere Problem darstellen als die illegalisierten Drogen. Aber realpolitisch ist es unmöglich, ein Gesetz gegen den Widerstand der Wirte und der Tabakkonzerne durchzubringen.

Die Heroin-Abgabe soll verankert werden

Übrig bleibt als erstes Thema für die Gesetzes-Revision die definitive Verankerung der Heroin-Abgabe für schwer süchtige FixerInnen. Bis jetzt basiert diese sehr erfolgreiche Behandlungsform auf einem dringlichen Bundesbeschluss, der 2004 ausläuft. Viele Präventivmediziner und in der Suchthilfe Tätige wollen unbedingt, dass diese Behandlungsform definitiv im Gesetz verankert wird. Falls das nicht gelingt, müsste das Heroin-Programm Ende 2004 beendigt werden und viele FixerInnen wären wieder auf der Gasse – mit all den nachteiligen Folgen (Beschaffungskriminalität, Ausbreitung von HIV und Hepatitis). Da besteht also ein grosser Druck, dieses Thema zu behandeln.

Konsum nicht mehr bestrafen

Als zweites Thema kommt dann die Strafbefreiung des Konsums. Entweder für alle Betäubungsmittel, oder auch nur für Haschisch und Gras. Grundsätzlich sehen viele, dass die Bestrafung des Konsums nichts bringt, aber die Vorbehalte gerade gegen die Strafbefreiung des Heroin- und Kokain-Konsums sind doch noch recht gross. Die Strafbefreiung des Kiffens hingegen sollte nach Gutzwillers Einschätzung eine Mehrheit in der Bevölkerung finden. Aus präventivmedizinischen Überlegungen wäre ein Verbot des Konsums auf öffentlichem Grund erwünscht. Wie weit dann auch die Vorbereitungshandlungen straffrei werden könnten (Besitz von 5 Gramm?, Besitz von 10 Gramm?, wieviele Balkonpflanzen sind ok?, usw.), das bleibt offen und wird noch einige interessante Diskussionen auslösen.

Hanfhandel tolerieren?

Als drittes Thema schliesslich steht noch eine neue Handhabung von gewerbsmässigem Anbau und Verkauf an. Dies ist sicher das umstrittenste Kapitel. Das vorgeschlagene Opportunitätsprinzip ist in der Schweizer Gesetzgebung im Gegensatz zu Holland nirgends integriert, und es sind nach wie vor viele Leute dagegen, dass mit dem Verkauf von Hasch und Gras Geld verdient wird. Natürlich völlig heuchlerisch, wenn man bedenkt, wie viel Geld mit den legalen Drogen Alkohol und Tabak verdient wird. Und diese können aus politischen Gründen nicht einmal als Suchtmittel definiert werden, weil sonst die Wirte mit dem Referendum drohen.

Schöne Modelle und Realpolitik

Problematisch ist für Gutzwiller, dass bei der letzten Abstimmung über die kontrollierte Heroinabgabe zwar eine Annahme resultierte, dies jedoch mit lediglich 55 Prozent Ja-Stimmen. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass das oben erwähnte erste Thema, eben die Heroinabgabe, wieder angenommen würde, so ist es doch fraglich, wie viele weitere Themen in einer Abstimmungs-Vorlage zusammengefasst werden können, so dass immer noch eine Annahme erfolgt. Und es ist für ihn klar, dass es nicht mehr viel zusätzliches verträgt: Vielleicht die Strafbefreiung des Cannabis-Konsums, das könnte drinliegen.

Eine Vorlage oder Schritt um Schritt?

Er könnte sich auch eine Aufteilung der verschiedenen Fragen vorstellen. Es wäre ja auch eine reichlich merkwürdige Abstimmung, wenn es eine gemeinsame Vorlage geben würde für die kontrollierte Heroinabgabe und die Strafbefreiung des Konsums von Cannabis-Produkten. Zwei Themen, die eigentlich nicht viel miteinander zu tun haben (ausser dass beide Stoffe in derselben Totalverbotskategorie vorkommen). Eine Etappierung oder eine parallele Behandlung scheint Gutzwiller möglich zu sein, er wird sich wahrscheinlich dafür im Nationalrat stark machen. Wichtig ist ihm als Präventivmediziner klar die Verankerung der Heroinabgabe. Dort besteht für ihn Handlungsbedarf, dort will er etwas bewirken. Beim Thema Hanf steht er sicher tendenziell auf unserer Seite, aber ich meinte schon zu spüren, dass ihm dieses Thema nicht sehr am Herzen liegt. Kiffen ist für ihn primär ein gesundheitsschädliches Verhalten (Rauchen) und er hält es sicher nicht für wünschenswert, dass Menschen kiffen. Es besteht für ihn auch schlicht kein Druck, mit diesem Thema vorwärts zu machen (es drohen keine HIV- und Hepatitis-Epidemien durch die Kiffenden, es drohen keine offenen Drogenszenen, die Kiffenden werden von ihm nicht als eine mächtige Kraft wahrgenommen, wie etwa die Vereinigung der Restaurant-Besitzer). Er ist sicher für eine Legalisierung des Konsums, aber dies hat für ihn nicht den gleichen Stellenwert wie die definitive Verankerung der Heroinabgabe.

Wünschenswertes und Machbares

Gutzwiller unterschied auch klar zwei Ebenen voneinander: Einerseits kann man darüber diskutieren, was wären gerechte, logische, schöne Modelle eines neuen Umganges mit psychoaktiven Stoffen. Andrerseits muss man sich die Frage stellen: Wie bringen wir was in den nächsten Monaten soweit, dass es in einer Volksabstimmung gutgeheissen wird? Dies sind effektiv zwei verschiedene Überlegungen. Schöne Konzepte sind vielleicht schön und auch moralisch überzeugend, vielleicht sogar gerecht. Aber politische Durchsetzbarkeit hat damit nicht unbedingt etwas zu tun. Durchsetzbar sind nur Vorlagen, die eben auch eine Mehrheit erreichen. Dies wird der spannende Prozess der nächsten Monate sein: Wer bringt welche Mehrheiten für welche Anliegen im Parlament und in der Bevölkerung zusammen?

Zuletzt geändert: 2023/12/22 21:16

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