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Entwicklung geringfügige Menge
Wenn jemand mit weniger als zehn Gramm Cannabis erwischt wird (ohne Konsum), gibt es in den Kantonen sehr verschiedene Vorgehensweisen. Im Gesetz und den Erläuterungen dazu steht klar, dass das Mitführen einer geringfügigen Menge (eben, die zehn Gramm) straffrei ist. Die Kantone setzen diese Bestimmung, die wir in unserem Shit happens 9 «quasi legal» genannt haben, auf mindestens drei verschiedene Arten um:
Leider hat bis jetzt noch kein Kanton begriffen, was im Gesetz steht: Der blosse Besitz von bis zu zehn Gramm für den Eigenbedarf ist straffrei, es braucht gar keine Verzeigung.
Wenn jemand, ohne zu konsumieren, mit weniger als 10 Gramm erwischt wird, scheint es nun zwei Varianten der Repression zu geben. Schwyz, Bern und Basel leiten ein normales Verfahren ein, wie wir es in unserem Shit happens 9 und weiter oben befürchtet hatten. Zürich und wohl auch der Aargau ignorieren die Straffreiheit der geringfügigen Menge komplett und stellen auch dafür eine Ordnungsbusse aus, obwohl das laut Gesetz ausgeschlossen ist.
Zusatz Oktober 2014 In Basellandschaft hingegen wird man zwar verzeigt, aber die Staatsanwaltschaft erlässt in diesen Fällen (Besitz unter 10 Gramm, kein Konsum) eine Nichtanhandnahmeverfügung, die 100 Franken kostet. Das wäre nun schon die dritte Interpretation. Auch sie ist offensichtlich falsch: Der blosse Besitz von unter 10 Gramm Cannabis ist halt einfach straffrei, was eben bedeutet, dass man keine Strafe bekommen kann und auch das Piece kann nicht eingezogen werden. Diese Interpretation, die offensichtlichste, hat sich bisher aber kein Kanton zu eigen gemacht. Wir sind gespannt auf die ersten Gerichtsentscheide!
Bisher ist aber noch kein Fall vor Gericht gelangt. Erst dann wird man wissen, wie die Gerichte mit der straffreien geringfügigen Menge von 10 Gramm umgehen werden.
Wie befürchtet halten sich die verschiedenen Polizeien also nicht an ein gemeinsames Vorgehen. Ob das nun alle Interpretationen sind oder ob andere Kantone weitere Varianten eingeführt haben, können wir noch nicht sagen. Hier sind wir auf weitere Fälle, Ordnungsbussen, Strafbefehle oder am besten Dienstbefehle der Polizeien angewiesen.
Ordnungsbussen für Cannabiskonsum sind seit Oktober 2013 schweizweit möglich. Die Kantone hatten die neuen Bestimmungen aber noch umzusetzen. Schliesslich mussten die Polizeien das Gesetz anwenden. Wie interpretieren diese das geänderte BetmG im Alltag?
Einen kompletten Überblick über die Situation in allen Kantonen können wir noch nicht geben. Dafür haben wir bis jetzt zu wenige Fälle dokumentiert. Doch es ist klar, es werden Ordnungsbussen verteilt, auch wenn einige Kantone erst am 1. Januar 2014 damit angefangen haben. Allerdings gibt es immer noch Verzeigungen für Taten, die mit Ordnungsbusse geahndet werden könnten… Das Bild ist noch nicht klar.
Wir gehen davon aus, dass es aktuell folgende Stufen der Illegalität gibt:
Der Gesetzestext ist letztlich nur bedingt relevant. Zentral ist, wie die Polizei in konkreten Fällen vorgeht (und in einem zweiten Schritt, wie die Gerichte die Fälle beurteilen, falls sie überhaupt angerufen werden). Da waren wir nun gespannt, wie die Umsetzung laufen würde. Vor allem, dass der blosse Besitz einer geringfügigen Menge (10 Gramm) Cannabis nicht strafbar ist, würde den Untersuchungsbehörden gar nicht gefallen, das war unsere These. Und diese Straflosigkeit gilt ja auch nur für die Vorbereitungshandlungen bis zum Konsum. Wir hätten gedacht (und im Shit happens 9 auch so geschrieben), dass die Polizei in diesem Fall die mit ein paar Gramm Aufgegriffenen befragen würde und so weiteren Konsum feststellen könnte (der ja immer illegal ist) – und dann hätte sie sie halt für diese Handlungen verzeigen können (eine Ordnungsbusse schien uns dafür nicht möglich, da diese nur für polizeilich beobachteten Konsum ausgestellt werden darf).
Es war denn auch erstaunlich, als die ersten Fälle aus Zürich und Winterthur gemeldet wurden: Da gab es Leute, die nur am Mischung machen waren und trotzdem eine Ordnungsbusse erhielten. Oder Menschen, die ohne zu konsumieren nur ein paar Gramm auf sich trugen und ohne weitere Abklärungen (Verhör, Protokoll) ebenfalls eine Ordnungsbusse erhielten. Also schien, mindestens in Zürich, die Polizei die Straffreiheit der geringfügigen Menge zu ignorieren. Dies hatten sie auch früher schon so gemacht, aber nun waren ja die 10 Gramm wirklich definiert (vorher gab es keine bestimmte Menge). Es ist eine zwingende Bestimmung, dass diese straffrei ist.
Die Lösung fand sich, als eine Kopie des Dienstbefehls der KaPo Zürich auftauchte. Es ist nur eine Kopie des Textes, ohne Briefkopf/Details. Doch wir erachten das Dokument als echt, es stimmt mit den real beobachteten Fällen überein bzw. kann das polizeiliche Vorgehen erklären.
In diesem Dienstbefehl, der für die Polizei verbindlich ist, sind unter dem Titel «Fallkonstellationen bei Erwachsenen» folgende Möglichkeiten angegeben:
Alle Punkte stimmen mit unserer Interpretation überein, nur der letzte Punkt, der scheint uns falsch umgesetzt zu sein. Der blosse Besitz bis zu 10 Gramm ist halt einfach straffrei. Die Gründe:
Nun, Ordnungsbussen werden verteilt, aber die grundsätzlichen Relativierungen der Strafbarkeit sind bei den Repressionsorganen einfach nicht angekommen, auch wenn die Kommission anscheinend meint, sie würden angewendet…
Das ganze Gesetz mag unlogisch sein, aber wenn man es auseinandernimmt, wird klar worum es geht. Es gab denn auch andere, die unabhängig zur selben Meinung wie wir gekommen waren und dann überrascht wurden, dass ihnen die Polizei ihr Piece doch wegnahm und sie eine Ordnungsbusse erhielten – ohne dass sie konsumierten, nur weil sie ein paar Gramm auf sich trugen. Einige protestierten auch bei der Polizei, die aber sehr harsch reagierte: Man müsse ihnen nicht das Gesetz erklären. Einer liess sich dazu hinreissen zu sagen, was die Behörden wohl denken: «Das ist ein Fehler im Gesetz. Wir haben eine Vereinbarung getroffen, um diesen zu beheben.» Krasse Worte für einen Polizisten. Nun, er hat ja sonst nichts zu sagen, er muss halt seinen Dienstbefehl ausführen, auch wenn der offensichtlich gegen das geltende Gesetz verstösst.
Nun wäre es sehr spannend zu sehen, was die Gerichte, speziell das Bundesgericht zu diesen Interpretationen meint. Doch wer mag sich schon wegen einer Ordnungsbusse von 100 Franken durch den juristischen Dschungel kämpfen? Im Prinzip müsste man freigesprochen werden, aber eben: Wenn nur irgend ein sonstiger Konsum doch noch bewiesen werden kann, bleibt man verurteilt und die Kosten steigen rasant. Von der ganzen Zeit und den Nerven mal abgesehen. Doch irgendwann wird jemand dieses Vorgehen anfechten – es ist einfach eine zu absurde Interpretation. Verteidigt wird diese Interpretation auf verschiedene Arten: Der Kauf zum Beispiel sei durch den Paragrafen nicht erfasst (er erfasse quasi nur das Mischen), also werde eben der Kauf bestraft. (Sinnlose Argumentation: Denn dann wäre die ganze Logik dahin, man könnte nie Ordnungsbussen erteilen, da es ja doch zwei illegale Handlungen geben würde: Konsum und Kauf). Oder es werde halt der (zukünftige) Konsum bestraft. (Sinnlose Argumentation: Die Vorbereitung des Konsums ist ja straffrei, der zukünftige Konsum noch nicht erfolgt und schon gar nicht beobachtet, da kann es halt keine Ordnungsbusse geben).
Aber man kann es auch positiv sehen: Der Dienstbefehl der KaPo Zürich verletzt zwar das Gesetz, aber er zwingt die Polizei bei Besitz bis 10 Gramm eine Ordnungsbusse zu geben – und nicht etwa weitere Ermittlungen aufzunehmen, die Betroffenen zu befragen und zu versuchen, in einem Verhör weitere illegale Handlungen aus ihnen herauszulocken, um sie dann doch verzeigen und bestrafen zu können. Ein solches Vorgehen hätten wir den Behörden jedenfalls durchaus zugetraut, denn sie wollen möglichst alles bestrafen, das beweisen sie tagtäglich. Im Vergleich zu unseren Befürchtungen ist die Ordnungsbusse angenehmer und billiger.
Die Behörden hätten es jedoch auch anders machen können: Wenn jemand in der Öffentlichkeit konsumiert, dann gibt man ihm oder ihr halt eine Ordnungsbusse. Wer jedoch bei einer Kontrolle nur bis zu 10 Gramm transportiert, dem belässt man das bisschen Gras oder Hasch und lässt ihn oder sie ziehen. Konsum im Privaten könnte als leichter Fall gelten, von einer Bestrafung würde abgesehen, ebenso beim Anbau daheim im kleinen Rahmen und Besitz für Eigenbedarf. Das alles wäre mit dem GELTENDEN Gesetz möglich, aber die Behörden wollen das nicht. Sie versuchten nie, die durchaus vorhandenen Relativierungen der Illegalität anzuwenden. Das kommt nun auch wieder im neuen Zürcher Dienstbefehl klar zum Ausdruck. Deshalb kann man es drehen und wenden wie man will: Das Gesetz ist der Fehler! Das grundsätzliche Verbot muss weg. Diese Spielwiese der Repression muss geschlossen werden.
Wie gesagt, das ist fürs Erste der Dienstbefehl der Kapo Zürich. Doch er scheint mit den Übertretungsstrafbehörden des Kantons Zürich abgesprochen worden zu sein (Statthalterämter, Stadtrichterämter) und somit gilt er wohl auch bei den Stadtpolizeien im Kanton Zürich. Aus dem Aargau tönt es nach ähnlichem Vorgehen. Es ist uns aber noch nicht klar, ob alle Kantone diese Interpretation durchziehen oder ob es auch andere Varianten gibt (oder sogar noch einen Kanton, der die Ordnungsbussen gar nicht einführen will). Für Hinweise, Unterlagen und Fallbeschriebe sind wir immer dankbar!
Ach ja, etwas Lustiges steht da noch im Dienstbefehl. Eine Frage war, wie denn nun all die Polizistinnen und Polizisten im Dienst die 10 Gramm vor Ort abwägen sollten. Eine lustige Vorstellung, dass alle Polizeibeamten mit einer Waage herumlaufen würden… Doch da haben sie für sich eine einfache Lösung gefunden: «Das Cannabis (bis 10 g) muss vor Ort nicht gewogen werden, es gilt das vernünftig angewendete «Augenmass» des/der Polizisten/in.» Na, wenn alle Beweismittel so aufgenommen werden, nach Augenmass… Doch wenn man einen Dienstbefehl mit offensichtlich falscher Interpretation des Gesetzes erstellt, dann ist das mit dem Augenmass halt auch möglich.
Sie machen es sich wirklich einfach und wollen von der Repression kein bisschen abrücken. Nicht dort, wo es laut Gesetz möglich wäre, ja nicht einmal da, wo ihnen das Gesetz Straffreiheit vorschreibt. Aber sie haben halt die Macht, die Gesetze im Alltag letztlich nach ihrer Interpretation anzuwenden. Und die sagt: BESTRAFEN!
Wer mit Cannabis unterwegs ist, sollte sich also immer gut vorsehen.
Oben haben wir über den Dienstbefehl der Zürcher Kantonspolizei berichtet, der die Ordnungsbussenbestimmungen auf recht eigene Weise interpretiert hat. Aber es scheint auch, wie von uns angedacht, eine andere Umsetzung zu geben: So berichtete Blick am Abend (15.4.14), dass in Bern und Basel bei Besitz von weniger als 10 Gramm (ohne direkt beobachteten Konsum) keine Ordnungsbusse ausgestellt wird (weil ja straffrei…). Doch, wie wir im Shit happens 9 vermutet haben, riskiert man eine normale Anzeige. Diese Interpretation der Bestimmungen zur Ordnungsbusse scheint uns einiges näher am Gesetztestext zu sein als die Zürcher Interpretation.
Doch auch hier können sie das Bestrafen einfach nicht sein lassen: Sie führen halt ein normales Verfahren durch, wie früher. Stattdessen hätten sie sich auch mit der Quasilegalität des blossen Besitzes unter 10 Gramm abfinden und die Betroffenen in Ruhe lassen können. Doch davon scheinen sie nichts wissen zu wollen. Allerdings haben wir noch keinen Dienstbefehl einer entprechenden Polizei gesehen, da bleibt Raum für weitere Klärungen: Zum Beispiel, ob wirklich immer ein normales Verfahren durchgeführt wird.
Auf alle Fälle ist nun nichts von der beabsichtigten Regelung für die ganze Schweiz geblieben. Die Lage ist sogar noch unterschiedlicher als früher!
Das Bezirksgericht Zürich hat im September 2015 einen Fall mit einer geringfügigen Menge Cannabis beurteilt und den Betroffenen freigesprochen. 13 Seiten benötigte das Gericht, um eine laut Gesetz straffreie Handlung auch wirklich als solche zu würdigen. Aber immerhin hat das Gericht das geschafft, was Polizei und Stadtrichteramt einfach nicht begreifen wollen.
Hier folgt das Faksimile des Urteils, das auch klärt, dass es für eine Cannabisordnungsbusse zwingend einen Konsum braucht. Das Gericht schliesst sich also unserer Interpretation des Gesetzes an. Nur die Nichteinziehbarkeit sieht das Gericht als nicht gegeben an, was dem Erläuterungstext der Kommission widerspricht.
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