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Dass Drogen eine Wirkung auf uns Menschen haben, ist offensichtlich. Doch wie genau diese Stoffe auf unser Gehirn einwirken und die verschiedenen Zustände bewirken können, wird erst langsam klar. THC scheint dabei eine ganz spezielle Rolle zu spielen.
Drogen werden von den Menschen schon seit Jahrtausenden benützt, vor allem Mohn und Hanf, aber auch viele weitere Drogen wurden (und werden) von alters her geschätzt. Sei es als Medizin (zum Beispiel als Schmerzmittel), sei es als Mittel, die in religiösen Ritualen verwendet werden (zum Beispiel der Alkohol im Wein, der ja bis heute im Christentum rituell genutzt wird). Dabei gab es sehr häufig die Vorstellung, dass Drogen wirken, weil sie eine göttliche Gabe, vielleicht sogar ein Gott selber, sind. Die Naturwissenschaften sehen das etwas prosaischer. Sie wollen die Wirkung nicht durch göttliche Kräfte, sondern materialistisch erklären. Doch während langer Zeit konnten die Wissenschaften die Wirkung von Drogen zwar beschreiben, aber wie genau das funktioniert, dass uns Drogen eine Veränderung unserer Psyche, unserer Wahrnehmung, unseres Bewusstseins bescheren – das blieb lange unklar.
Als erstes wurde wissenschaftlich festgestellt, dass pflanzliche Drogen wie Wein, Haschisch oder Opium aus sehr vielen Stoffen bestehen. Da gibt es Geschmacksstoffe, zum Teil auch Vitamine, manchmal Zucker und mit der Zeit konnten die Wissenschafter immer genauer die Stoffe benennen, die für die psychische Wirkung zuständig waren: Der Alkohol, das THC, das Morphin. Alkohol kennt man schon länger, Morphin ist ebenfalls seit einiger Zeit bekannt, THC hingegen wurde erst in den Sechzigerjahren entdeckt. Mit dieser Kenntnis konnten die Wirkstoffe nun gezielt angereichert werden (zum Beispiel im Morphium), und diese Stoffe konnten auch vielfach chemisch verändert werden, so dass sie noch potenter wurden (klassisches Beispiel dafür ist das Heroin, eine einfache «Weiterentwicklung» des pflanzlichen Morphins).
Aber der Wirkungsmechanismus war damit immer noch nicht klar. Erst als auf den Nervenzellen spezielle Andockstellen, die Rezeptoren, gefunden wurden, fing man an zu verstehen, dass die Wirkstoffe der Drogen an bestimmte dieser Rezeptoren andocken und dort eine Wirkung auslösen. Diese Forschung ist noch lange nicht abgeschlossen – so wurde der Rezeptor für THC erst in den Achtzigerjahren entdeckt. Doch gleich nach dieser Erkenntnis stand die Frage im Raum: Wieso besitzt der Mensch (und auch alle Tiere) Rezeptoren, an die pflanzliche Drogen andocken können? Wieso haben wir Schlösser in uns, die mit Hilfe von Drogen, wie durch Schlüssel, geöffnet werden können?
Die Antwort darauf: Alle pflanzlichen Wirkstoffe, die einfahren, haben sozusagen als Zwillinge körpereigene Stoffe, für die diese Rezeptoren bestimmt sind. Der menschliche (und auch der tierische) Körper ist eine riesige Apotheke, die alle einfahrenden Substanzen selber herstellt und mit diesen einen grossen Teil unseres Seins, unserer Empfindungen/Gefühle und auch unseres Denkens steuert. Dass es pflanzliche Wirkstoffe gibt, die ebenfalls an diesen Rezeptoren andocken können, ist in dieser Sichtweise lediglich ein Zufall – allerdings ein Zufall, der uns Menschen sehr schöne Gefühle und Erleichterung von vielerlei Schmerzen bringen kann. Allerdings, und das ist das Unschöne daran, können wir mit der Einnahme von pflanzlichen Drogen, die ja exogene Drogen sind (von ausserhalb zugeführt), unser körpereigenes (endogenes) Drogensystem durcheinander bringen. Denn die Mengen an exogenen Drogen, die wir mit Alkoholika, THC-Produkten oder Opiaten zu uns nehmen können, sind sehr viel höher als die Mengen an körpereigenen (endogenen) Drogen. Das ist das Risiko, das sich als Abhängigkeit, Gewöhnung oder Sucht äussern kann. Abhängigkeit kann man dann so verstehen, dass der Körper infolge der Einnahme von grossen Mengen exogener Drogen die Produktion der entsprechenden körpereigenen Drogen einstellt, da es ja immer genug davon gibt. Hört man dann mit der Zuführung von exogenen Drogen auf, hat es plötzlich fast gar keine solchen Substanzen mehr – und das zeigt sich dann im Entzug, der erst beendet wird, wenn neue exogene Drogen zugeführt werden oder der Körper die Produktion der endogenen Drogen wieder anwirft. Bei Heroin kann das durchaus einige Tage in Anspruch nehmen – Tage, die sehr schmerzhaft sind!
Das Modell, das wir hier besprechen, ist das modern-naturwissenschaftliche Modell. Es ist ein Modell (und nicht «die» Realität), weil es vieles vereinfacht und zurzeit fast täglich weiter verfeinert werden muss, weil neue Erkenntnisse über das Funktionieren unseres körpereigenen Drogensystems eine immer höhere Komplexität erzwingen. Doch ich denke, dass dieses naturwissenschaftliche Modell den alten, religiösen Modellen doch einiges voraus hat. Allerdings zeigt auch die Naturwissenschaft, dass gewisse uralte Vorstellungen über den Menschen durchaus eine nützliche Beschreibung unseres Seins darstellen. Zum Beispiel die Idee des Yin und Yang: Dass es verschiedene Kräfte in uns gibt, die sich gegenseitig kontrollieren und beeinflussen und dass wir dann das Ganze aus solchen Kräften darstellen – diese Vorstellung findet sich im Modell der körpereigenen Drogen gut bestätigt.
Auch in der drogenpolitischen Diskussion von heute merkt man immer wieder, dass gerade die Verteufelung von Cannabis von vielen letztlich damit begründet wird, dass es eine böse Droge sei, sozusagen die Inkarnation des Bösen, des Teufels. Eine kulturfremde Substanz, die die Grundfesten unserer christlich-abendländischen Gesellschaft unterwandert und letztlich zum Einsturz bringt. Damit einher geht natürlich eine positive Bewertung des Weins als Blut Christi, dem beim Abendmahl gehuldigt werden darf und soll. Auch hier kommt immer noch eine alte, religiöse Wertung von Drogen zum Zug.
Ich denke, die Idee, dass unsere Gedanken und Gefühle, vielleicht sogar unsere ganze Persönlichkeit zu einem sehr grossen Teil zu verstehen ist als ein komplexes Miteinander von 25 Milliarden Nervenzellen (und 100 bis 200 Milliarden Hilfszellen) mit jeweils hunderten oder gar tausenden Verbindungen (Dendriten) untereinander, die sich mit Hilfe von hunderten von körpereigenen Drogen (Neurotransmitter, Hormone) verständigen und beeinflussen und vor allem von der Zeugung bis zum Tod permanent verändern und weiterentwickeln, ein sehr gutes Modell darstellt und vieles plausibel erklären kann.
Alles kann man damit jedoch (noch?) nicht erklären. Zum Beispiel kann niemand bis heute sagen, dass ein bestimmter Gedanke in diesen und jenen 12 Millionen Hirnzellen gespeichert wurde und mit Hilfe von diesen und jenen 120 Neurotransmittern mit Hilfe dieser und jener 300 Millionen Nervenzellen gebildet wurde – so konkret ist das naturwissenschaftliche Modell noch lange nicht. Aber es ist wohl das beste Modell, das es zurzeit gibt.
Das Gehirn ist ein sehr komplexes Organ. Es verbraucht sehr viel Energie. Es passiert dort also einiges. Wer eine Hirnverletzung erleiden musste, kann sehr häufig bestimmte Dinge nicht mehr tun – aus solchen Verletzungen wissen wir einiges über die verschiedenen Teile des Hirnes und welche Aufgaben sie wahrnehmen. Auch aus vielen, zum Teil grausamen, Versuchen mit Tieren und Menschen, sowohl durch Herausschneiden von Hirnteilen wie auch durch chemische Beeinflussung, sind viele Erkenntnisse über die Funktion unseres Gehirns gewonnen worden. Jede Bewegung, die wir durchführen, müssen unsere Nervenzellen lernen (zum Beispiel das Gehen). Wenn wir eine bestimmte Bewegung durchführen wollen, müssen viele Nervenzellen und verschiedene Teile unseres Gehirns zusammenarbeiten: Optische Reize aus dem Auge müssen ins Gehirn übertragen werden, dort muss ein «Bild» entstehen, dieses muss verglichen werden mit alten, bereits abgespeicherten Bildern, daraus müssen Schlüsse gezogen werden (zum Beispiel sieht man eine tiefe Pfütze am Boden, verbindet das mit nassen Schuhen und will das vermeiden) und überlegt sich, wie man nun vorgehen soll (also die Pfütze umgehen). Dabei arbeiten Millionen von Nervenzellen zusammen und diese Zusammenarbeit wird über Neurotransmitter (körpereigene Drogen) und elektrische Signale vermittelt. Das Ganze ist ein hochkomplexes System – und nur schon das Laufen muss von den Kleinkindern intensiv geübt werden (und auch das Ausweichen vor einer Pfütze braucht sehr viel Organisation: Grösse der Pfütze einschätzen, Sehen des trockenen Weges, Koordination der Muskeln beim Ausweichen, Bereitstellung der dafür notwendigen Energie). Dieses Üben kann man verstehen als Bildung von Hirnstrukturen. Auch die Sprache braucht solche Lernprozesse, die man als Gehirnstrukturbildung verstehen kann.
Es gibt unzählige körpereigene Drogen (Transmitter), die die Kommunikation zwischen den einzelnen Nervenzellen herstellen. Es gibt hemmende und aktivierende Stoffe; Stoffe, die nur ganz kurz oder auch sehr lange wirken; es gibt Stoffe, die im Gehirn, andere, die in anderen Organen gebildet werden. Folgende Übersicht (aus dem Buch von Zehentbauer) gibt eine Idee von der Wirkung der verschiedenen Stoffe (THC kommt hier noch nicht vor, weil die Forschung noch nicht so weit war): «Beim Menschen kann man etwa zehn ‘Basis-Emotionen’ (Stimmungen) unterscheiden, die allesamt durch ein (jeweils anderes) Zusammenspiel mehrerer Transmitter getragen werden. An diesem Zusammenspiel sind folgende in Klammern aufgeführte Botenstoffe (Neurotransmitter und Hormone) beteiligt, wobei die jeweils zuerst genannten besonders tragend sind: • freudig, glücklich bis euphorisch, Erotik fühlend, hilfsbereit, liebend (Dopamin, Noradrenalin, Endorphine, Acetylcholin, Oxytocin, weibliche Sexualhormone)
• ängstlich, grüblerisch, innerlich unruhig, sich-einsam-(ausweglos-)fühlend (Melatonin, Serotonin, Acetylcholin, Kinine; auch eine überhöhte Ausschüttung von Noradrenalin kann Angst erzeugen)
• kämpferisch, neidisch, zornig, aggressiv bis zerstörerisch (Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Schilddrüsenhormone, STH, männliche Sexualhormone, Histamine)
• traurig, schwermütig, vergrämt, schwach, lebensmüde (Melatonin, Serotonin, GABA)
• abscheu- und ekelempfindend, hasserfüllt, sozial skeptisch bis feindlich eingestellt (erhöhtes Adrenalin, vermindertes Oxytocin)
• hoffnungsvoll, sehnsüchtig, unzufrieden-suchend (Serotonin, Endovalium, Endorphine, körpereigene Psychedelika)
• vertrauensvoll-gläubig, untergeben, dankbar, mitleidig (Endovalium, Endorphine, GABA)
• lustorientiert, triebhaft, gierig, sinnlich, soziale Nähe suchend (Oxytocin, Dopamin, Noradrenalin)
• unbeschwert, naiv-selbstbezogen, weltfremd, verträumt (Endorphine, Endovalium, Serotonin, körpereigenes Psychedelika)
• aktiv-unruhig, leistungsorientiert, überaufmerksam, lernbereit, kühl-distanziert (Noradrenalin, Dopamin, Schilddrüsenhormone, STH, Acetylcholin)»
Hier sieht man, dass sehr häufig mehrere Stoffe zusammenarbeiten und ebenso, dass sich verschiedene Stoffe gegenseitig beeinflussen, hemmen oder verstärken.
Wir können mit den bekannten exogenen Drogen nun in diese verschiedenen Stimmungen eingreifen. Doch es gibt auch andere Wege, die aktuelle Zusammensetzung unserer endogenen Drogen zu verändern: Wir können die Ausschüttung unserer körpereigenen Drogen selber stimulieren! Aktives Imaginieren, Yoga/Atemtechniken/ Meditation, Ausagieren, Autogenes Training, körperliche Aktivität/Bewegung, Massage, Reizüberflutung und -entzug, Tanzen und Sexualität können dafür benützt werden.
1) Bildmaterial/Filme
Unter www.jellinek.nl/brain/index.html kannst du eine sehr schöne Visualisierung der Wirkungsweise von endogenen und exogenen Drogen anschauen. Ausserdem gibt es eine Einführung in die Wirkungsweise unseres Gehirns bzw. der Nervenzellen.
2) Im Buch «Körpereigene Drogen» von Josef Zehentbauer, ISBN 3-7608-1935-4, finden sich sehr gute Erklärungen und interessante Übersichten. Ausserdem eine Anleitung, wie man selber, ohne Drogenzufuhr, die körpereigenen Drogen in der gewünschten Richtung stimulieren kann. Dieses Buch findet sich auch in unserer Bibliothek.
3) Im Arte-Film: «Cannabis – Die Wissenschaft vor 100 Fragen» von 2005 findet sich eine Übersicht über den Stand der Endocannabinoidforschung (also der Forschung über die körpereigenen Stoffe, die wie THC wirken). Dieser Film ist leider nicht bestellbar, aber wir haben eine Kopie in unserer Bibliothek.
Gerne kannst du als Mitglied einen Termin vereinbaren, um diese Informationen im Büro anzuschauen.
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