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Die Schweizer Arbeitsgruppe für Cannabinoide in der Medizin (SACM) führte am 12. November 2016 eine Tagung durch. Thema waren neue Trends bei der medizinischen Verwendung von Wirkstoffen aus der Hanfpflanze.
Der Tag begann früh morgens und endete erst spät abends, die Reise nach Bern an die SACM-Tagung hat sich aber definitiv gelohnt. Ich hatte die Möglichkeit, viele neue Eindrücke zu gewinnen und hinter die Kulissen von Cannabis als Medizin zu schauen.
Doch eines will ich jetzt bereits vorwegnehmen: Cannabis ohne den jetzt nötigen behördlichen Eiertanz wird es auch in Zukunft nicht geben. Auch wenn sich viele den Anschein geben, niemand – ausser den Betroffenen selbst – ist wirklich interessiert an einer breiten Anwendung von Cannabis im Schweizer Gesundheitswesen.
Die Schweizer Arbeitsgruppe für Cannabinoide in der Medizin organisierte die Veranstaltung unter dem Titel «Cannabinoide in der Medizin – Neue Trends». Zu hören waren 17 Kurzvorträge à 20 Minuten. Redner waren Wissenschaftler und Vertreter von Behörden.
Der erste Teil bestand aus Beiträgen rund um die Grundlagenforschung. Jürg Gertsch stellte das Endocannabinoidsystem als therapeutisches Ziel vor und Arno Hazekamp berichtete, wie die Firma Bedrocan vorgeht, um möglichst standardisierte Cannabisblüten zu gewinnen. Bedrocan ist eine niederländische Firma, die Cannabisblüten herstellt und auch in andere Länder wie Deutschland exportiert. Entsprechend ist das Interesse am Eigenanbau und einer möglichst vielfältigen Genetik seitens Bedrocan nicht vorhanden. Um der Nachfrage trotzdem gerecht zu werden, wollen sie in Zukunft «Amnesia Haze» als Sorte in ihren Katalog aufnehmen.
Noch vielsagender ist jedoch ein Projekt, in dem sie einen Vaporizer entwickeln, der mit einer vordosierten Kapsel funktioniert – eine Nespressokapsel für Cannabispatienten. So nobel die Idee auch klingen mag, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung wird den Patienten damit nicht im Ansatz zugemutet.
Berichtet wurde auch über die Entwicklung von Sativex, einem Medikament auf Basis von aus Zitronenschalen synthetisiertem THC. Dabei wurden die verschiedenen Stufen der Entwicklung bis zur Freigabe als Medikament vorgestellt.
Interessant war die Information, dass an einem Präparat namens Epidiolex gearbeitet werde. Epidiolex ist nichts anderes als ein standardisiertes Konzentrat an Cannabidiol (CBD), wie es diverse kleinere Firmen in der Schweiz mittlerweile anbieten. Da das Cannabinoid CBD nicht psychoaktiv wirkt, ist es (noch) nicht illegal in der Schweiz. Dass ein grosses Pharmaunternehmen auch ein Produkt in diesem Bereich entwickelt und in nächster Zeit vermarkten will, ist an und für sich nicht ungewöhnlich. Argwöhnisch wird man aber, wenn man bedenkt, dass im Herbst 2016 CBD in Deutschland und Grossbritannien verschreibungspflichtig wurde.
In den USA wurde ausserdem ziemlich flott eine Studie durchgewunken, welche CBD bei Kindern, die an Epilepsie leiden, untersuchen soll. CBD hat einen therapeutischen Nutzen und die negativen Folgen eines Missbrauchs fallen wahrscheinlich gleich wenig ins Gewicht wie bei anderen in der Apotheke rezeptfrei erhältlichen Substanzen. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um das System zu erkennen.
Wird Cannabis in der Krebstherapie objektiv wissenschaftlich betrachtet, so sollte man sich vom Begriff der Heilung noch weit distanzieren. Erste Versuche im Labor zeigten Potential und die Mechanismen würden langsam verstanden, doch sei man von einem Medikament noch weit entfernt, meinte Guillermo Velasco. Tumore seien sehr vielfältig. Die Erkenntnisse zu einem Tumortyp könnten nicht eins zu eins auf die anderen übertragen werden. Dennoch wurde auch an dieser Tagung von einzelnen Fällen berichtet, bei denen in teilweise abenteuerlichen Selbstversuchen Erfolge mit Cannabis erzielt wurden. Es fehlen jedoch objektive Daten, um zu belegen, dass diese Erfolge wirklich auf Cannabis zurückzuführen sind.
Tausende Krebs-Patienten behandeln sich momentan zusätzlich mit Cannabis in irgendeiner Form. Deren Daten werden aber weder systematisch erfasst noch ausgewertet. Und da beisst sich der Hund in den Schwanz – solange der Zugang nicht besser wird, kann sich an dieser Datenlage halt auch nichts ändern.
Immer wieder wird erzählt, dass der Genuss von Cannabis das Risiko signifikant erhöhe, an Psychosen zu erkranken. Auch dies wurde in einem Vortrag über die Rolle des Endo-cannabinoidsystems bei Psychosen hervorgehoben.
Doch wurde auch ganz klar kommuniziert, dass dieser Zusammenhang stark vom Alter abhängig sei. Wissenschaftlich betrachtet sei es aber auch hier wichtig, die Rolle einzelner Cannabinoide und deren Zusammenwirken zu verstehen. So gebe es Hinweise, dass CBD indirekt protektiv wirke, also vor Schizophrenie schütze.
Auch hier bleibt als Fazit eine altbekannte, aber dürftige Erkenntnis: Es braucht mehr Daten.
Wenn man an ein Land denkt, das eine Vorreiterrolle im Umgang mit Cannabis als Medizin innehat, dann kommt einem Israel in den Sinn. Dort können Ärzte Patienten an staatlich lizenzierte Apotheken weiterempfehlen, welche dann für den Patienten eine optimale Therapie zusammenstellen. Cannabis wird dann vom Staat angebaut und zur Verfügung gestellt. Das funktioniert so weit und es gibt offiziell 25’000 Patienten, welche von einer solchen Therapie profitieren. Dabei kommen auch Cannabisblüten zum Einsatz, die geraucht werden dürfen, ähnlich wie wir es aus den USA und Deutschland bereits kennen. Sogar Alters- und Pflegeheime nutzen das Angebot rege.
Dr. Ilya Reznik sparte trotzdem nicht mit Kritik. In seinem Fachgebiet, der klinischen Neuropsychiatrie, gebe es nur eine Handvoll Krankheiten, welche mit Cannabinoiden behandelt würden. Viele psychische Erkrankungen, welche eine solche Behandlung rechtfertigen würden, werden noch nicht akzeptiert.
Er schätzte denn auch, dass die potentielle Anzahl Patienten, die von Cannabis profitieren könnten, eher bei 250’000 liege. Auch sei die Akzeptanz seitens der Ärzte noch gering, es müsse viel mehr Aufklärungsarbeit betrieben werden. Das System habe aber noch einen anderen Haken: Viele Ärzte verlören ihre Patienten nämlich aus den Augen, nachdem sie diese an eine dieser Apotheken weitergeleitet haben.
Den Abschluss machte Dr. Mahmoud A. ElSohly. Er berichtete über seine 40-jährige Erfahrung in der Cannabisforschung. Bilder zeigten ihn zusammen mit dem Pharmazeut Rudolf Brenneisen, der die Tagung organisiert hatte. Diese endete freundschaftlich, war Dr. Mahmoud A. ElSohly doch Brenneisens Mentor. Brenneisen trug das Know-how der Cannabisforschung zweifelsohne in die Schweiz und setzte Meilensteine, der Tages-Anzeiger sprach sogar vom «Cannabis-Papst». Nach meinem Empfinden endete die Veranstaltung denn auch vor allem in Selbstbeweihräucherung.
In der anschliessenden Diskussion brachte eine Zuschauerin unter lautem Applaus ihren Unmut zum Ausdruck und forderte, dass nun auch wirklich etwas gemacht werden müsse. Die Kardinalfrage, inwiefern denn nun all diese im Raum versammelten Forschenden und Beamten gedenken, den Patienten wirklich gerecht zu werden und wie die mittelalterlichen Zustände zu beheben wären, blieb aber unbeantwortet.
Die Tagung war interessant und bestärkte mich nur noch mehr darin, auf eine vollständige Legalisierung hinzuarbeiten. Um wirklich etwas zu bewegen, braucht es die Maximalforderung.
Weitere Infos zur Tagung finden sich über www.hanflegal.ch/sacm2016
Hier ein kurzer Blick auf die Situation von medizinischem Cannabis in den Niederlanden:
Die medizinische Anwendung ist in den Niederlanden gang und gäbe, Patienten kommen billiger zu Cannabis als in Coffeeshops und die Qualität ist meist besser. Die Firma Bedrocan produziert dort medizinisches Cannabis und exportiert dieses auch, beispielsweise nach Deutschland. Trotzdem scheint das Thema Cannabis als Medizin zumindest in den Coffeeshops noch nicht angekommen zu sein. Internetquellen zufolge wurde ein Coffeeshop eröffnet, der sich auf die medizinische Anwendung ausrichten wollte und sogar CBD-Produkte führte – dieser wurde jedoch nach wenigen Tagen von den Behörden wieder geschlossen. Wie bei uns in der Schweiz wird es nicht gerne gesehen, wenn der medizinische Nutzen ausserhalb des Gesundheitsbereichs propagiert oder gar Produkte angeboten werden.
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