Wann wird es in der Schweiz denn nun legal?

Alle paar Wochen stellt uns jemand diese Frage, meist mit einer gewissen ­Naivität: Als ob es nur noch Tage dauern könnte, bis es so weit ist. Doch von einer Legalisierung sind wir in der Schweiz nach wie vor weit entfernt. Wieso ist das so? Unser Sekretär Sven fasst seine Eindrücke zusammen.

Fangen wir bei den Konsumierenden an. Es gibt ja viele davon. Je nach Studie bzw. Fragestellung («Konsum täglich» oder «Konsum im letzten Jahr») sind es hundert­tausend oder auch über eine Million. Aber auch wenn das viele sind: Bei einer Bevölkerung von fast neun Millionen sind sie halt doch eine kleine Minderheit. Auch wenn alle Hanf-Konsumierenden für eine ­Legalisierung wären, könnten sie alleine dennoch keine Mehrheit erreichen.

Es gibt jedoch durchaus auch etliche Nichtkonsumierende, die die Sinnlosigkeit der Pro­hibition eingesehen haben, zum Beispiel bei den Suchtfachleuten. Doch diese schaffen es nicht, sich politisch durchzusetzen. Denn sie würden am liebsten die ziemlich liberal gehandhabten legalen Drogen Alkohol und Tabak strenger anfassen und den Hanf liberaler als heute, so dass für alle diese psychoaktiven Stoffe ein gemeinsames Schema nach effektiver Gefährlichkeit gelten würde. Damit halsen sie sich allerdings gleich zwei Probleme auf, von denen jedes für sich schon fast unlösbar scheint.

Auch wenn viele Konsumierende ein Ende der Prohibition herbeiwünschen: Ein ­beachtlicher Teil der Kiffenden war und ist gegen eine Legalisierung. Da gibt es immer wieder die Angst, dass die Preise steigen würden (wobei die heutigen Prohibitionsgewinne fast jede Steuer begleichen könnten), dass dann mehr überwacht werden könnte (dies ist mittlerweile nicht mehr ganz auszuschliessen, z. B. Registrierungspflicht für jede Pflanze und alle Konsumierenden), dass man sein kleines Business (den Verkauf an weitere Konsumierende, um den eigenen Konsum zu decken) verlieren könnte: Lieber am Status quo festhalten, als etwas Neues ­riskieren.

Entscheidender für die Inaktivität der meisten scheint mir jedoch: Es läuft ja! Der Schwarzmarkt funktioniert meistens. Die Leute kommen an Gras und Hasch, häufig in anständiger Qualität. Klar, gediegene Theken mit verschiedenen geprüften Sorten wären schon schöner. Aber solange die Konsumierenden zum Stoff kommen und keine Probleme entstehen: Wieso sollten sie sich für eine Änderung einsetzen, die dann vielleicht irgendwann einmal käme und von der sie auch nicht genau wissen, wie sie schliesslich ausgestaltet wäre?

Denn es kann jahrzehntelang funktionieren: Der Dealer verschafft Gras oder Hasch, beim Autofahren passiert auch nichts. Alles easy… Bis es dann doch einmal ­geschieht:

⇒ Das Rauchen eines Joints an einem ­blöden Ort (was heutzutage meist eine ­verschmerzbare Ordnungsbusse von 100 Franken ergibt).

⇒ Der Dealer wird gefasst und in seinen Nachrichten wird man identifiziert (das kann dann schon unangenehm werden, zudem versiegt ja auch die Quelle).

⇒ Ein Konsument kauft sich für die nächsten Monate eine grössere Menge und wird dabei erwischt (und dann selber als Händler verdächtigt).

⇒ Jemand gerät in eine Verkehrskontrolle und das tut den Betroffenen wirklich weh: ­Bestrafung wegen Fahren unter Drogen sowie Fahreignungsabklärung mit erzwungener Abstinenz.

⇒ Eine Hanfsamenbestellung wird vom Zoll beschlagnahmt und führt zu einem Strafverfahren mit all seinen Folgen (was die Bestellenden sehr stressen kann).

In solchen Momenten wird allen Betroffenen klar, dass das heutige Betäubungsmittelgesetz ein ziemlich übles Gesetz ist. Grundsätzlich ist der Umgang mit THC ein Vergehen (die höhere Stufe der Illegalität). Wer dealt, ist sogar sehr schnell auf Stufe schweres Vergehen bzw. Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsentzug. Nur der Konsum und die ­Vorbereitungshandlungen dafür sind Übertretungen (die tiefere Stufe der Illegalität). Da kommt dann schon das Gefühl auf: «Das kann doch nicht wahr sein!? Wir leben doch im 2021!» Aber es ist wahr, es betrifft aber eben «nur» rund 10 % der Konsumierenden pro Jahr. Bei den anderen läufts!

Wer von der Repression betroffen ist, sieht zwar ziemlich klar, dass man daran etwas ändern müsste. Aber diese Person hat in diesem Moment anderes im Kopf als langfristiges politisches Engagement. Wer mit THC und Autofahren Probleme bekommt, zahlt schnell 3’000 bis 5’000 Franken, viel Zeit und Nerven gehen noch zusätzlich drauf. Wer Hanfsamen bestellt hat, muss vielleicht zum ersten Mal an eine polizeiliche Einvernahme, erlebt zum ersten Mal eine Hausdurchsuchung. Und zahlt dann auch 500 bis 1’000 Franken. Oder anders gesagt: In diesem Moment müssen die ­Betroffenen zuerst einmal ihre akuten ­Probleme lösen. Das ist zwar verständlich, ­ändert die Realität allerdings nicht.

Bei vielen Konsumierenden herrscht auch das Prinzip Hoffnung: Die Legalisierung kommt schon irgendwann von alleine, man muss nichts dafür tun. Da wird gerne jede Schlagzeile in den Medien («Bundesrat will…», «Kommission möchte…») als bereits erfüllt angesehen: läuft schon. Solche Schlagzeilen und solche Reaktionen darauf sehe ich nun seit 30 Jahren. Tja, es ist nicht legal geworden. Die nötigen Mehrheiten dafür konnten nicht erreicht werden: weder mit den bundesrätlichen Vorschlägen um die Jahrtausendwende, noch mit der Volksinitiative in den 2000er-Jahren.

Auch die bisherigen Versuche im Parla­ment, an der Lage grundsätzlich etwas zu ändern, sind bisher nicht durchgedrungen (z. B. Parlamentarische Initiative der Grünen, gescheitert 2018). Eine neue Volksinitiative wurde zwar immer wieder diskutiert und es wurden Abklärungen und viele ­Sitzungen dafür gemacht. Aber die dafür nötigen Menschen und Gelder sind trotz aller ­Anstrengungen nicht in Sicht.

Natürlich gibt es auch immer wieder Angst vor ­Repressalien, falls man sich engagieren würde. Aber man muss schon klar sehen: Wer sich Hanfsamen im Ausland ­bestellt, hat gute Chancen, in ein Straf­verfahren verwickelt zu werden. Wer mit THC-Spuren im Blut Auto fährt, riskiert jedes Mal, einen Eintrag im Strafregister zu bekommen. Wer dealt, kann durchaus ­einige Tage in Untersuchungshaft landen. Aber wer sich politisch für eine Hanflega­lisierung engagiert, wird deswegen nicht verfolgt. So viel Freiheit haben wir durchaus in unserem Land. Es geht hier wohl vor allem um eine Passivität oder Scham, die durch Angst ­kaschiert wird.

Bei den politisch Aktiven gab und gibt es allerdings auch einige blinde Flecken. Viele ignorieren nach wie vor die grossen Schwierigkeiten, eine Mehrheit für eine ­Legalisierung oder auch nur schon für eine Entkriminalisierung zu erarbeiten. Bisher gab es bei den Abstimmenden nie eine Mehrheit dafür bzw. ist nach wie vor unklar, wofür sich in der Bevölkerung allenfalls eine Mehrheit finden liesse. Eine umfassende Umfrage dazu würde wohl einige zehn­tausend Franken kosten. Eine solche wäre aber nötig, wenn wir nicht weiterhin im Nebel stochern wollen. Unser Projekt «Legalisierungsraster» soll dafür einen Baukasten der Regulierungsmöglichkeiten ­liefern, der dann abgeklärt werden könnte. Das Schlimmste aber ist: Eine Verfassungsänderung benötigt neben der Mehrheit der Abstimmenden auch noch eine Mehrheit der Stände. Diese ist beinahe unmöglich zu erreichen, wenn man sich eine Schweizerkarte mit den Kantonen anschaut und sich überlegt, dass Uri und Zürich, das Tessin und Genf je gleich viel zählen. Nach wie vor fehlt eine glaubwürdige Strategie, wie wir diese Klippe meistern könnten.

Ein weiterer Punkt, der gerne vergessen geht, weil er sehr mühsam ist: Die Schweiz hat die internationalen Verträge zur ­Drogenprohibition unterschrieben. Eine Legalisierung ist damit eigentlich nicht möglich. Gut, immerhin gibt es nun Staaten wie Kanada, die diese Verträge auch unterschrieben haben und sie mehr oder weniger einfach ignorieren. «Respectful non-compliance» nennen sie das. Aber kann das die Schweiz auch tun, mit unserem Rechtsverständnis? Solche Fragen sind nach wie vor ungeklärt – und eine Klärung würde einiges an Arbeit und Geld für juristische Expertisen erfordern.

Daneben gibt es noch viele weitere rechtliche Problemfelder. Wer eine Hanf-Vorlage für die Schweiz erschaffen will, die ­rechtlich «verhebbt» (Umgang mit den ­internationalen Verträgen, Verfassungsbestimmung, neues Hanfgesetz, Rechte der Kantone und allenfalls Gemeinden) und eine Mehrheit des Parlaments, der ­Abstimmenden und der Stände über­zeugen kann, muss sehr viel Knochenarbeit leisten, viele Jahre daran arbeiten und pragmatisch sein.

Denn das Image der THC-Geniessenden ist nach wie vor schlecht. Die Problemkiffer sind gut sichtbar, die grosse Mehrheit der problemlosen Konsumierenden hält sich, wie oben erwähnt, bedeckt. Dies verzerrt die wahrgenommene Realität und ist wirklich ein grosses Problem, um die Nicht­konsumierenden für eine Änderung der Lage zu überzeugen. Man rede nur mal mit einer Lehrkraft: Bei praktisch allen Schülerinnen und Schülern, die Probleme im ­Unterricht bereiten, findet man früher oder später etwas Gras. Dass auch viele Gras ­besitzen, die keine Probleme machen, sieht man halt nicht. Und dass diejenigen mit den Problemen neben dem Gras meist noch viel anderes Problematisches im Leben haben, wird zwar manchmal gesehen. Aber das «stinkende» Gras, die roten Augen usw. sind halt auffällig und werden von vielen stark und eben auch als ursächlich für die Probleme wahrgenommen.

Dazu kommt, dass die Schweiz ein konservatives Land ist. Gesellschaftsliberales hat es sehr schwer (z. B. spät eingeführtes Frauenstimmrecht; lang andauerndes Verbot des Konkubinats; späte Akzeptanz der ­Homosexualität; der Stadtrat von Zürich wollte noch 1994 die neue Streetparade verbieten). Solche Vorstösse brauchen ­unglaublich lang und sehr viele Anläufe. Man muss sich daran erinnern: Die meisten der heute so geschätzten Liberalisierungen wie längere Öffnungszeiten für Beizen oder vielfältigere Kulturangebote wurden erst von der 1980er-Bewegung erkämpft, in einem zum Teil gewalttätigen Protest.

Es braucht den Schwarzmarkt also noch längere Zeit, denn legal wird es nicht so bald werden. Ausser sehr viele Menschen bewegen sich, stehen mit ihrem Namen und Bild hin, argumentieren und über­zeugen eine Mehrheit, die eben nicht konsumiert. Das hinzubekommen ist die Herausforderung. Bis jetzt hat die Hanf-Szene dies nicht geschafft. Immerhin: Es ist nun auch in konservativen Gegenden (US-Bundesstaaten) zu Legalisierungen gekommen. Daher scheint es prinzipiell möglich zu sein. Aber die Situation in der Schweiz hat ihre Eigenheiten. Es braucht eine Strategie, wie wir es hier bei uns erreichen könnten – unter Berücksichtigung unserer rechtlichen Randbedingungen, der unterschiedlichen Sprachregionen und der eigen­sinnigen Kantone.

Deshalb ist es noch nicht legal: Weil noch lange nicht genug Menschen darüber nachgedacht und dann auch gehandelt haben. Manchmal geschehen solche geschichtlichen Aufbrüche. Ich bin gespannt, ob ich einen solchen noch erleben werde. Ich, wir bleiben weiterhin dran und sind sehr interessiert an Reaktionen oder Ergänzungen zu diesen Überlegungen. Denn diese Hürden müssen wir zusammen überwinden, wenn wir gewinnen wollen.

Eine Übersicht zu Regulierungsmöglichkeiten bei einer Legalisierung sowie eine schöne Lösung dafür findest du hier.

Zuletzt geändert: 2023/12/22 21:16

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