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Verschreibung von Medizinalhanf

Wie läuft der Bezug von medizinischem Hanf ab?

Seit 2022 braucht es keine Ausnahmebewilligung mehr für die Verschreibung von THC-haltigen Medikamenten. Ausserdem dürfen nun auch Blüten von Ärztinnen und Ärzten verschrieben werden. Eine Betroffene schildert ihren langen und hürdenreichen Weg während der letzten Jahre, durch die verschiedenen Phasen, bis zur Verschreibung von Cannabis-Blüten und der Übernahme der Kosten durch ihre Krankenkasse.

Stand: Mai 2024

Krankheitsdiagnose

Dass etwas mit meinem Körper nicht ganz richtig ist, spürte ich persönlich mein ganzes Leben. Alles fühlte sich schon immer sehr schwerfällig an. Bewegungen, vor allem feinmotorische, brachten mich schon in jungen Jahren an meine Grenzen. Ich war auffällig langsamer als andere Kinder, Handarbeitsaufträge schaffte ich in den wenigsten Fällen fertig und ich hatte eine auffällig schlechte Handschrift. Der Sportunterricht? Der war wirklich der reinste Horror. Ich entsprach nie dem, was von der körperlichen Leistung eines Kindes erwartet wurde.

Nichtsdestotrotz lebte ich den kindlichen Bewegungsdrang wild aus. Ich versuchte mich in verschiedenen Sportarten, liebte das Tanzen und war eigentlich immer 'on the road'. Viele Dinge, die körperliche Anstrengungen verlangten, wurden von mir eher langsam ausgeübt. Ich persönlich merkte davon nichts, mein Schul- und Arbeitsumfeld dafür umso mehr. Ich war immer langsam und man machte das dann auch irgendwie zu einer charakterlichen Eigenschaft. Auch ich selber.

So lebte ich mein Leben mit immer mehr dazukommenden Beschwerden. Nächtliche Wadenkrämpfe waren irgendwann Alltag. Dazu kamen Schmerzen und weitere Krämpfe in den verschiedensten Körperregionen. Als ich irgendwann anfing mit Kindern zu arbeiten, bemerkte ich, dass mein Körper immer mehr solche Symptome zeigt und so verwies mich mein Hausarzt zu neurologischen Spezialisten. Da war ich 33 Jahre alt. Kaum beim Neurologen im Sprechzimmer bemerkte er meine Füsse und meinte: «Ach, ich kann ihnen wahrscheinlich anhand ihrer Füsse schon sagen, an welcher neurologischen Krankheit sie leiden. Sie haben typische CMT-Füsse.» Ein Gentest brachte uns dann die volle Gewissheit: Es ist CMT (Morbus Charcot-Marie-Tooth, heute auch als Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ I [HMSN I] bekannt).

CMT ist eine genetisch vererbbare Krankheit, welche ein bestimmtes Gen mutieren lässt. Dies bewirkt, dass die Nerven verdickt sind, was wiederum die Nervenimpulse stark herunterkomprimiert. Diese wichtigen Impulse erreichen die Muskeln nicht mehr richtig, Muskelschwund ist die Folge. Es sind die peripheren Nerven betroffen, somit affektiert dies die Grob- und Feinmotorik. Die Myelinschicht der Nerven wird geschädigt. Diese Krankheit ist unheilbar. Eine physische Fatigue, die damit einhergeht, macht mir zusätzlich sehr zu schaffen.

«Normale» Medikamente

Diesen Schock musste ich erst einmal verdauen. Aber es gab auch einige Antworten für mich. Endlich wusste ich, dass nicht ich persönlich das Problem war, sondern schlichtweg mein Körper nicht anders kann und nie anders konnte.

Gegen meine vor allem nächtlichen Beschwerden erhielt ich dann bereits ein Medikament. «LIMPTAR N», welches ich nun täglich einnehmen musste. Oh nein, für mich der grösste Albtraum! Auf starke Medikamente angewiesen zu sein: Ein riesiges Triggerthema für mich, da ich persönlich aus einer suchtgeprägten Familie stamme. Ich habe eine extrem komplexe Beziehung zu süchtig machenden Substanzen und habe eine heftige Abneigung gegen solche Sachen entwickelt. Dies kommunizierte ich von Anfang an im Muskelzentrum St. Gallen. Ich stiess auf grösstes Verständnis. Trotzdem musste ich dieses Medikament von nun an einnehmen.

Erfahrungen mit den Standard-Medikamenten

Gesagt, getan – mit einem immer sehr schlechten Gefühl nahm ich also diese Pillen ein. Dass ich diese über längere Zeitperioden einnehmen musste, war ein zusätzlicher Stressfaktor. Ich bemerkte keine Verbesserung meiner Symptome. Die Ärzte meinten, ich müsse das Medikament jeden Tag einnehmen, da sah ich absolut keinen Sinn dahinter. Bei persönlichen Recherchen zu dem Medikament musste ich herausfinden, dass dieses bei Malaria Verwendung findet und ausserdem sehr umstritten ist. Dies war für mich der ausschlaggebende Punkt, um das Medikament mit etwas anderem zu ersetzen.

Mittlerweile gab es einen Ärztinnenwechsel. Ich besprach auch mit meiner neuen Neurologin meine Bedenken und erklärte ihr meinen familiären Hintergrund und die damit verbundenen Ängste. Sie verschrieb mir ein neues Medikament. Beim Lesen der Packungsbeilage dachte ich schon «nein, danke» – diese Nebenwirkungen braucht kein Mensch. Ich nahm davon nicht eine Tablette.

Idee: Hanf/THC als Medikament

Dabei hatte ich bereits selbst nach Alternativen für meine Beschwerden gesucht. Die Krankheit CMT ist vergleichbar mit MS und so stiess ich im Internet extrem schnell auf das Thema Cannabis als für mich richtige Alternative.

Meinung der Ärztinnen und Ärzte

Sofort stieg ich auf Cannabis um, kommunizierte dies immer offen mit meiner Ärzteschaft: Die Neurologin war sofort dafür, der Hausarzt war sofort dagegen. Er meinte, ich sei doch auch zu alt dafür (Hmm, ok merci ;)).

Im Muskelzentrum riet man mir ab, ein offizielles Rezept für Cannabis zu beantragen. Der bürokratische Aufwand sei viel zu gross. Das mag ja vielleicht sein, aber den Schaden, den ich mir durch andere chemische Mittel zufüge, ist es mir persönlich nicht wert und den empfinde ich vom Schaden her als grösser bzw. einschneidender. Ich muss ja damit leben, oder? Ich will Natur und Cannabis. Damals war zum Glück der CBD-Boom auch recht gross in der Schweiz und so kombinierte ich CBD-Tropfen und THC-Blüten. Die Krämpfe wurden deutlich weniger, ebenso war das Schmerzmanagement viel besser. Ich hatte endlich wieder Hoffnung und war schockverliebt und dankbar für diese Möglichkeit. Auch dass die Menschen im Muskelzentrum St. Gallen mich in meiner Entscheidung so unterstützt haben, war und ist sehr wertvoll.

So sprach ich meine Neurologin nochmals darauf an, ob wir eine Ausnahmebewilligung beim BAG für die THC-Tropfen beantragen könnten. Sie willigte ein, da auch sie überzeugt ist, dass mir Cannabis hilft.

Rezept für THC-Tropfen

Pünktlich, vor meinem ersten krankheitsbedingten Reha-Aufenthalt im 2022, erhielten wir das Ok vom BAG. Ich durfte offiziell die Fankhauser-Tropfen (von der Bahnhof Apotheke Langnau) beziehen. Meine Neurologin und ich machten eine Dosierung aus. Ich entschied mich für die Tropfen mit 5 % THC, da ich diese selbst bezahlen musste. Ein 10 ml-Fläschchen kostete um die 175 Franken.

Und so wartete ich und wartete, trat in die Klinik ein und wartete auf ein Rezept, welches nie kam. Fünf Wochen Aufenthalt waren vorbei und ich fragte mal bei meiner Neurologin, wann ich das Rezept erhalte? «Dies ging direkt an die Apotheke.» Ach so, ja das konnte ich nicht wissen. Somit meldete ich mich bei der Apotheke Langnau und konnte mein 1. Fläschchen beziehen. Ich fragte nach, wie denn das ist, wenn ich beweisen muss, dass das mein Medikament ist und zum Beispiel die Polizei mir das nicht glaubt? Wie kann ich mich ausweisen? Doch das ist nicht nötig, da auf dem Fläschchen persönliche Daten von mir aufgedruckt sind.

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Fläschchen mit THC-Tropfen

Erfahrungen mit THC-Tropfen

Ich war schnell ernüchtert. Das Medikament war viel zu teuer und so kam es, dass ich unterdosiert war. Ich sollte täglich mehrere Tropfen nehmen. Schlussendlich nahm ich diese nur bei akuten Beschwerden ein oder wenn ich wusste, dass eine grössere körperliche Belastung auf mich zukam. Ist so nicht ganz der Zweck, ich musste immer mit Blüten vom Schwarzmarkt ergänzen. Die Krankenkasse wollte von einer Kostenübernahme sowieso nichts wissen. Unser erster Antrag auf eine Kostenübernahme wurde natürlich abgewiesen.

Rezept für Cannabis-Blüten

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Das erste Rezept für Cannabis-Blüten Das zweite Rezept für Cannabis-Blüten

Als ich dann erfuhr, dass ab August 2022 neu auch Cannabis in Blütenform möglich und ab Dezember 2022 auch erhältlich wurde, besprach ich mich erneut mit meiner Neurologin für einen Wechsel, welchem sie zustimmte. Nur wusste sie genau nichts zum Thema Dosierung und Co. und machte schon fast einen Rückzieher. Ich versuchte sie zu motivieren, diese Chance für uns zu nutzen. Sie liess sich darauf ein.

Erfahrung mit Cannabis-Blüten

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Vordosierte Blüten zum Verdampfen

Nun, voller Elan galt es eine Apotheke in meiner Umgebung zu finden, welche bereit war, mir das Medikament abzugeben und mit meiner Neurologin einen Dosierungsplan zu erstellen. Das war eine richtige Odyssee, bis wir eine Apotheke gefunden hatten. Irgendwann fanden wir eine. Diese bestand jedoch darauf, das Cannabis zu granulieren und vorzuportionieren: Ich sei ja schliesslich Patientin und es bestehe eine Gefahr der Überdosierung. Die Fachleute der Apotheke haben mir als Schmerzpatientin eine Dosierung von Null-Komma-irgendwas Gramm pro Tag gemacht. Die ersten Dosen konnte ich dann abholen und ich habe den Strain (Anm. d. Red.: Sorte) «Afina» zehn Tage lang getestet. Zur Wirkung konnte ich nichts sagen, da 2,5 Gramm auf 10 Tage aufgeteilt wurden. Diese Dosis ist viel zu niedrig. Dafür hätte ich 119 Franken bezahlen müssen. Der Preis ist – wie zu erwarten war – viel zu hoch. Ich motzte und versuchte auch darauf aufmerksam zu machen, dass das Vergrinden den Wirkstoff der Blüten zerstört. Mir wurde unterstellt, quasi nicht wissenschaftlich zu argumentieren, sondern nur mit dem Kifferherzen. Wow! Sie versicherten mir noch, dass – wenn sie Studien zu meinen Behauptungen finden würden – sie dann bereit wären, ganze Blüten abzugeben. Ich habe bis heute nie wieder etwas von ihnen gehört.

Also, neue Apotheke suchen. Zum Glück bin ich Mitglied im Verein Medcan. Da fand ich dann heraus, dass die Stauffacher Apotheke ganze Blüten abgibt. Scheisse, das ist in Zürich, ich bin nicht sehr mobil. Zu meinem Glück erfuhr ich, dass diese Apotheke nach Hause liefert. Jackpot!

Nach kurzem Besprechen mit meiner Neurologin habe ich bereits am nächsten Tag ein Patientinnengespräch mit der Apotheke. Das Beste daran? Gemeinsam (!) besprechen wir, was mir gut tut, was ich brauche, wo unsere Möglichkeiten liegen. Und so bestelle ich mir den Strain «Gorilla Glue» zum ersten Mal nach Hause. Seitdem hat sich das Angebot stark verbessert und es kommen fortlaufend neue Strains dazu.

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Medical Strain «Jealousy» Nahaufnahme
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Medical Strain «Kandy Terpz» Nahaufnahme
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Medical Strain «GMO» Nahaufnahme

Wir probierten es erneut mit einer Kostenübernahme, da ich bereits einige Zeit selbst bezahlte.

Kosten dieser Medikamente

Diese Kosten sind nämlich leider immer noch viel zu hoch und variieren zwischen 9 und 16 Franken pro Gramm. Dies hängt stark vom Strain ab. Die Strains kommen zurzeit aus Kanada, Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz oder Portugal. Darunter sind Strains wie «Gorilla Glue», «White Widow», «Jealousy», «MAC» und noch einige mehr zu finden. Die Gehaltsstoffe sind ebenso in sämtlichen Ausführungen erhältlich: ab 15 bis 28 % THC. Ein Rezept ist drei Monate lang gültig. Es sollte auf jeden Fall darauf stehen, dass eine gewisse Bandbreite beim THC-Gehalt möglich ist. Bei mir zum Beispiel «diverse Blüten mit einem Wirkstoff von 15 bis 28% THC zur Inhalation». Nur so kann von verschiedenen Strains profitiert werden. Tagesdosierungen sind sehr unterschiedlich, je nach Krankheitsbild. Ich bin mit 2,5 Gramm pro Tag tipptopp bedient.

Kostenübernahme

Die zweite Anfrage wurde leider wieder abgelehnt. Dies konnte ich nicht glauben, nachdem ich mich im Vorfeld extra telefonisch erkundigt hatte, wie meine Chancen stehen würden. Diese seien sehr gut und dann erhielt ich trotzdem eine Absage. Begründung: Das Medikament «Cannabis Flos» (Hanf-Blüten) ist nicht auf der Swissmedic-Liste (Spezialitätenliste). Dann gibt es jetzt von unserer Seite ein Wiedererwägungsgesuch, weil auf die Dauer muss ich so wieder unterdosiert bleiben, weil ich von den Kosten her immer zu wenig Cannabis beziehe.

Der Verein Medcan riet uns, den Art. 71b Abs. 1 KVV in unser Wiedererwägungsgesuch mit einfliessen zu lassen. Dieser bezieht sich auf Kostenübernahmen bei seltenen Krankheiten. Dies wurde nun seit November 2023 gutgeheissen und ich habe voller Dankbarkeit endlich eine Übernahme dieser Kosten.

Fazit

Ich empfinde meine Situation als mittlerweile super privilegiert. Es ist mir bewusst, dass die meisten Patientinnen und Patienten in der Schweiz sich immer noch in der Illegalität bewegen, weil sie sich unter anderem diese horrenden Kosten nicht leisten können. Ich glaube auch, dass viele Cannabis nicht nehmen, weil sie Angst um ihren Führerschein haben. Dies betrifft mich nicht, da ich nicht Auto fahre. Aber auch dies gehört meiner Meinung nach stark überdacht und die Obergrenzen sollten angepasst werden.

Es ist schön zu wissen, dass sich in der Schweiz alle dieses Medikament verschreiben lassen dürfen. Trotzdem wird in der Realität den Wenigsten ein Rezept ausgestellt, wegen Ärztinnen und Ärzten, die sich querstellen oder unwissend sind. Es bestehen viele Unsicherheiten.

Die Kosten gehören dringend heruntergeschraubt. Die Kosten hindern wirklich auch viele daran, sich Cannabis verschreiben zu lassen. Krankenkassen sollten unbedingt diese Kosten ohne Wenn und Aber übernehmen.

Ich selber bin, seit ich die Blüten regelmässig beziehe, stabil unterwegs und habe eher gute körperliche Phasen. Das medizinische Cannabis hilft mir sehr, meinen Alltag meistern zu können. Es war interessant zu sehen, wie sich der medizinische Markt in den letzten drei Jahren verändert hat. Ich hoffe aber noch auf viele positive Veränderungen zugunsten der Patientinnen und Patienten.

Das Eine, was ich zurzeit verbessern würde, ist, dass das Cannabis nicht zu Tode getrocknet wird. Ich glaube nämlich, dass die Blüten deswegen in den wenigsten Fällen wie erwartet riechen und oft einen «CBD-Geruch» aufweisen: Wahrscheinlich, weil es zu stark getrocknet wurde. Also falls man zum Beispiel in Amsterdam einen super leckeren und nützlichen Strain gefunden hat, muss damit gerechnet werden, dass das medizinische Pendant dann aber ganz anders riecht und schmeckt. Dies kann unter Umständen enttäuschend sein. Jedoch sind die Wirkungen genau richtig und das ist wichtig! Es hilft. Zurzeit mag ich die Strains «Kandy Terpz» und «Jealousy» sehr. «Kandy Terpz» ist sogar eher lecker. Wobei sämtliche Eindrücke und Erfahrungen mit Cannabis immer etwas Individuelles sind.

Das Zweite, das ich ändern würde, ist, dass dringend weitere Anwendungsformen möglich sein sollten. Also nicht nur Tropfen und Blüten, sondern auch Extrakte, Edibles, Kapseln usw. In einzelnen Pilotversuchen gibt es diese Produkte ja bereits. Ich finde, diese sollten auch für Patientinnen und Patienten verfügbar gemacht werden!

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Ärztliche Bestätigung für die Verschreibung von Cannabis
Zuletzt geändert: 2024/06/10 16:49

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