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Die internationale Tagung «Cannabinoide in der Medizin – eine Option?» fand am 22. Januar 2013 am Inselspital in Bern statt. Wir schauen auf diese wichtige Veranstaltung zurück und führen so unsere Reihe zum Thema Medikamente auf Hanfbasis fort.
Die Tagung brachte Wissenschafter, Medizinal-und Pflegepersonen, Patienten, Politiker, Behördenmitglieder und Medien zusammen und bot mit ihrem Programm einen interessanten Überblick über den derzeitigen Stand der medizinischen und rechtlichen Entwicklungen im Bereich des Medizinalcannabis.
Nach dem Schlusswort von Professor Brenneisen zur Tagung, welches übrigens im Titel dieses Artikels wiedergegeben ist, war klar: Cannabis wird in der modernen Medizin zunehmend wieder eine Rolle spielen. Das medizinische Potential ist schlicht zu gross und die zurzeit noch herrschenden bürokratischen und rechtlichen Barrieren werden die so genannte Remedizinalisierung von Cannabisprodukten in der Schweiz nicht aufhalten. Die Kriminalisierung von Patienten, welche ihre Leiden durch Cannabis lindern möchten, wurde von den Veranstaltern des Anlasses öffentlich kritisiert.
Organisiert wurde die Tagung von der Schweizer Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoide in der Medizin (SACM). Der Leiter des Labors für Phytopharmakologie (Wissenschaft von der Wechselwirkung zwischen pflanzlichen Stoffen und Lebewesen) an der Universität Bern, Rudolf Brenneisen, trat dabei als massgeblicher Veranstalter in Erscheinung. Er wird schon seit Längerem als einer der wichtigsten Exponenten der Schweizer Cannabisforschung wahrgenommen und führte die Teilnehmer souverän durch die Veranstaltung. Um ihr Ziel, nämlich durch die Präsentation der aktuellen wissenschaftlichen, gesundheitspolitischen und rechtlichen Fakten die Grundlage für eine sachliche Diskussion zu bieten, erreichen zu können, wurde ein breites Programm geboten. Nach den Präsentationen zu den medizinischen Einsatzbereichen während des Vormittags, wurden am Nachmittag die rechtliche und politische Situation in der Schweiz beleuchtet und die Verschreibungsmodelle in verschiedenen Ländern vorgestellt, bevor sich die Referenten den Fragen der Teilnehmer stellten. Ein Ausdruck der Vielseitigkeit der Veranstaltung war die Liste der Sponsoren. Neben dem niederländischen Hersteller für Medizinalcannabis Bedrocan befanden sich z. B. auch der Nachtschattenverlag, die Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft, der Hersteller des unseren Mitgliedern bestens bekannten Volcanos sowie mehrere pharmazeutische Unternehmen unter den Unterstützern.
Die mehr als 15 in englischer oder deutscher Sprache gehaltenen Präsentationen waren alle hochinteressant. Für Fachleute trivial, jedoch für Laien und Patienten aufschlussreich, war Professor Brenneisens Einführungspräsentation. Cannabis wirkt, weil der Mensch ein eigenes System für Cannabinoide – das bekannteste davon ist wohl das THC – hat. Hanf enthält noch über 60 weitere Cannabinoide, welche das körpereigene Endocannabinoidsystem beeinflussen. Da dieses System für die Feinabstimmung der Kommunikation zwischen Zellen zuständig ist, werden dadurch z. B. Schlaf, Schmerzen, Kontrolle von Bewegungen, Appetit, Entspannung und Vergessen gesteuert. Nicht zuletzt könnten Cannabinoide auch eine Rolle in der Krebsbekämpfung spielen. Diese erstaunliche Erkenntnis präsentierte eine spanische Forscherin von der Complutense Universität in Madrid. Im Tierversuch wurde an Ratten gezeigt, dass THC bei Tumoren die Metastasenbildung blockiert und eine Apoptose auslöst, d.h. die Krebszellen sterben von selbst ab. Interessanterweise wird Cannabis zurzeit noch als Komplementärmedizin zur herkömmlichen, extrem schädlichen Chemotherapie angepriesen; möglicherweise will man sich «Big Pharma» und die mächtige Schulmedizin nicht zu Feinden machen. Nach weiteren beeindruckenden Präsentationen zu medizinischen Einsatzbereichen in der Schmerzbekämpfung bei ALS-Patientinnen, in der Psychiatrie und in der Bekämpfung von Asthma, AIDS und des Grünen Stars war es dann an den Behördenvertretern, ihre jeweiligen Standpunkte darzulegen.
Die Teilnehmer bekamen den Eindruck, dass Cannabis durchaus einen Platz im schweizerischen Gesundheitssystem ergattern könnte, die Hürden jedoch ziemlich hoch sind. Wir haben bereits im Legalize it! 59 über die Bürokratie und die Tatsache, dass Medikamente auf Hanfbasis nur in Ausnahmefällen verwendet werden dürfen, berichtet. Dank den Präsentationen der Vertreter des Bundesamtes für Gesundheit und der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen sowie von Felix Gutzwiller, Mitglied der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, wurde klar, dass die Bürokratie politisch gewollt ist. Durch die Fragen des Publikums wurde dann noch einmal verdeutlicht, was das heisst: So darf z. B. für die Magistralrezeptur, wie sie auch von Manfred Fankhauser aus Langnau i. E. abgegeben wird, keine Werbung gemacht werden. Im Weiteren muss der verschreibende Arzt die Verantwortung für die Behandlung mit Cannabis übernehmen, was er bei anderen Medikamenten, auch wenn diese starke Nebenwirkungen haben, nicht machen muss und somit einen krassen Fall von Wettbewerbsverzerrung darstellt.
Im letzten Veranstaltungsblock wurden Verschreibungsmodelle für Cannabis von Vertretern aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Kanada und der Schweiz vorgestellt. Das Spektrum der verschiedenen Regelungen ist gross. Während in den Niederlanden Schwerkranke Hanfblüten mit standardisiertem THC-Wert in der Apotheke kaufen können und sogar noch die Wahl zwischen Indica und Sativa haben, tun sich die Behörden in Deutschland immer noch schwer, erlauben jedoch mittlerweile die Verschreibung von Dronabinol (synthetisches THC) und in seltenen Fällen können Patienten eine spezielle Bewilligung für die Einfuhr von Cannabisblüten durch ihre Apotheke erwirken. Interessanterweise wird das synthetische THC in einem chemischen Verfahren aus dem Cannabidiol (CBD) von Faserhanf gewonnen. In Österreich wurden 2012 etwa 3’000 Patienten mit synthetischem THC aus Faserhanf behandelt. Die Krankenkassen bezahlen die Behandlung sogar, wenn sie als «ultima ratio» – als letzter Ausweg – verschrieben wird. Seit Herbst 2012 darf in unserem östlichen Nachbarland auch natürliches THC verschrieben werden, allerdings nicht in der naheliegenden umweltfreundlichen und generell effizienten Form von selbstangebautem Cannabis, sondern als «Sativex» bekanntes Medikament, welches von Bayer hergestellt wird. In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Bionorica produziert die staatliche Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES) ausserdem seit kurzem Cannabis. Daraus wird dann in Deutschland das natürliche THC gewonnen und in Form von Kapseln und Tropfen nach Österreich importiert. Das kanadische Verschreibungsmodell liess es bisher zu, dass Patienten ihr Cannabis selber anbauen durften bzw. jemanden dafür beauftragen konnten. Zurzeit gibt es über 20’000 Patienten mit legalem Zugang zu ihrer Medizin. Leider kam es dabei zu Exzessen und ein Teil der Produktion wurde zu Genusszwecken, in der Interpretation der Behörden also zu Betäubungsmittelzwecken, abgezweigt. Obwohl das eigentlich die Folge der Prohibitionspolitik ist, ändert man nichts an ihr, sondern es wird nun nur noch einem staatlich lizenzierten Oligopol erlaubt sein, Medizinalcannabis herzustellen. Damit soll die Kontrolle über die Cannabisproduktion in Kanada zurückgewonnen werden. Als letzter Redner trat Manfred Fankhauser auf und präsentierte das Schweizer Modell. Wir haben in früheren Ausgaben bereits über seine Erfahrungen mit der Magistralrezeptur berichtet.
Mittlerweile hat die Behandlung mit natürlichem einheimischem THC in Form einer Tinktur begonnen. Die Behandlungskosten liegen gemäss des Emmentaler Apothekers im Vergleich mit dem synthetischen THC rund 40 Prozent tiefer. Die Anzahl der Patienten muss aber noch steigen, damit diese Kostenreduktion im gesundheitspolitischen System auch wahrgenommen wird. Immerhin werden pro Halbjahr 150 Gesuche für eine Ausnahmebewilligung zur Behandlung mit THC beim Bundesamt für Gesundheit eingereicht.
Die Tagung hat den Teilnehmern Hoffnung gemacht, dass sich zukünftig das restriktive Regime um den medizinischen Einsatz von Cannabis lockern wird. Leider ist auch die Tendenz zu beobachten, dass die Interessenvertreter der Medizinalcannabis-Branche, seien es nun Forscher, Produzenten oder Ärzte sich stark gegenüber der Verwendung von Cannabis als Genussmittel abgrenzen. Medizinalcannabis soll ja nicht als Vehikel für eine generelle Legalisierung wahrgenommen werden. Leider blenden sie damit die schädlichen Folgen der Prohibition, zu denen auch gesundheitliche Schäden gehören, aus. Die Haltung ist jedoch insofern verständlich, weil sich Forscher und Behandelnde in diesem Bereich immer noch mit Anfeindungen konfrontiert sehen. So musste sich kürzlich Prof. Brenneisen gegenüber Vorwürfen von Seiten der aktiven Hanfgegnerin und Berner SVP-Grossrätin Sabina Geissbühler-Strupler verteidigen. Sie verdächtigte den Forscher, staatliche Mittel für «fragwürdige Experimente im Drogenbereich» zu missbrauchen. Was die Medikamente auf Hanfbasis angeht, bleibt zu hoffen, dass sie sich nicht nur als gewinnbringendes Standbein für Pharmaunternehmen und Mediziner etablieren. Offenbar lässt sich die Idee, dass man kranke Menschen mit Cannabis behandelt am einfachsten über Geschäfts- und Partikularinteressen politisch verkaufen. Ideale wie Freiheit oder das Recht auf Selbstmedikation finden nur schwer eine Lobby.
Wer sich für das Thema «Cannabinoide in der Medizin» interessiert, sollte einen Besuch des zweitägigen Kongresses der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM) ins Auge fassen. Er findet Ende September in Köln statt und Informationen dazu können hier gefunden werden.
Die Dokumente der in Bern stattgefundenen Tagung können hier heruntergeladen werden.
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